Month: Juli 2017

Streit um Kinderimpfung: Wer entscheidet?

Streit um Kinderimpfung: Wer entscheidet?

Wenn sich Eltern über Schutzimpfungen ihres Kindes nicht einigen können, kann das Familiengericht bestimmen, wer die Entscheidungsbefugnis hat. Ein Elternteil, der sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) ausrichtet, kann dann zu Recht als besser geeignet angesehen werden. Ein gesondertes Gutachten ist in diesem Fall nicht notwendig. Das hat der BGH entschieden.

Darum geht es

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die gemeinsam sorgeberechtigten nichtehelichen Eltern ihrer im Juni 2012 geborenen Tochter. Diese lebt bei der Mutter. Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für ihre Tochter. Sie haben wechselseitig die Alleinübertragung der Gesundheitssorge beantragt.

Der Vater befürwortet die Durchführung der altersentsprechenden Schutzimpfungen, die durch die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfohlen werden. Die Mutter ist der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Nur wenn ärztlicherseits Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie eine anlassunabhängige Impfung ihrer Tochter befürworten.

Das Amtsgericht hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht es bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Vater belassen, diese aber auf Schutzimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps und Röteln beschränkt.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter ist ohne Erfolg geblieben. Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Die Durchführung von Schutzimpfungen stellt keine alltägliche Angelegenheit dar, welche nach § 1687 Abs. 1 BGB in die Entscheidungsbefugnis des Elternteils fiele, bei dem sich das Kind aufhält, sondern eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die als Alltagsangelegenheiten häufig vorkommen.

Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, fällt im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an. Sowohl das durch eine Impfung vermeidbare und mit möglichen Komplikationen verbundene Infektionsrisiko als auch das Risiko einer Impfschädigung belegen die erhebliche Bedeutung.

Das Oberlandesgericht hat den Vater mit Recht als besser geeignet angesehen, um über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es hat hierfür in zulässiger Weise darauf abgestellt, dass der Vater seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Die Impfempfehlungen der STIKO sind vom BGH bereits als medizinischer Standard anerkannt worden.

Da keine einschlägigen Einzelfallumstände wie etwa bei dem Kind bestehende besondere Impfrisiken vorliegen, konnte das Oberlandesgericht auf die Impfempfehlungen als vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen. Die von der Mutter erhobenen Vorbehalte, die aus ihrer Befürchtung einer „unheilvollen Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft“ resultieren, musste das Oberlandesgericht dagegen nicht zum Anlass für die Einholung eines gesonderten Sachverständigengutachtens über allgemeine Impfrisiken nehmen.

BGH, Beschl. v. 03.05.2017 – XII ZB 157/16

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 23.05.2017

Fiktive Reparaturkosten – Was zahlt die Kfz-Versicherung?

Fiktive Reparaturkosten – Was zahlt die Kfz-Versicherung?

Unter welchen Voraussetzungen können Kaskoversicherungen bei einer fiktiven Schadensabrechnung – also tatsächlich nicht durchgeführten Reparaturen – auf niedrigere Preise einer „freien“ Werkstatt verweisen? Der BGH hat nun die Voraussetzungen benannt, nach denen die Aufwendungen, die bei Durchführung der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallen würden, ersatzfähig sind.

Fiktive Reparaturkosten: Darum geht es

In dem Rechtsstreit begehrt der Kläger, der seinen Mercedes nach einem Unfallschaden nicht reparieren ließ, von seinem Kaskoversicherer den Ersatz der notwendigen Reparaturkosten auf Gutachtenbasis. Dabei legt er ein von ihm beauftragtes Gutachten zugrunde, in dem auf Basis der Stundenverrechnungssätze einer Mercedes-Fachwerkstatt ein Reparaturkostenaufwand von rd. 9.400 € ermittelt worden ist.

Der beklagte Versicherer regulierte dagegen auf der Basis eines von ihm eingeholten Gutachtens nur rd. 6.400 €. Diesem Gutachten liegen die Lohnkosten einer ortsansässigen, nicht markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde. Die Differenz von knapp 3.000 € ist Gegenstand der Klage.

Ablauf der Messverfahren und deren juristische Angreifbarkeit. Ihre Mandanten werden profitieren!

Jetzt gratis anfordern

In Ziffer A.2.7.1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) 2008 heißt es:

„Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten bis zu folgenden Obergrenzen:

a) Wird das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert, zahlen wir die hierfür erforderlichen Kosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts nach A.2.6.6, wenn Sie uns dies durch eine Rechnung nachweisen. Fehlt dieser Nachweis, zahlen wir entsprechend A.2.7.1.b.

b) Wird das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert, zahlen wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts nach A.2.6.6.“

Die Klage hatte beim Amtsgericht Erfolg; das Landgericht hat sie auf die Berufung des beklagten Versicherers abgewiesen. Es hat ausgeführt, soweit die Reparatur des Fahrzeugs auch in einer markenfreien Fachwerkstatt zu einer vollständigen und fachgerechten Reparatur führe, seien nur die dort anfallenden Kosten als erforderlich im Sinne der AKB anzusehen. Für die vom Amtsgericht befürwortete Übertragung der Grundsätze aus dem gesetzlichen Haftungsrecht fehle es an einer tragfähigen Begründung.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH hat demgegenüber zwar bestätigt, dass in der Kaskoversicherung allein die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien maßgeblich sind und deshalb die für den Schadensersatz – also insbesondere für die Ersatzpflicht des Unfallgegners – geltenden Regelungen nicht angewandt werden können.

Er hat aber weiter entschieden, dass die Aufwendungen für die Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt auch nach der maßgeblichen Auslegung der Versicherungsbedingungen aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abhängig von den Umständen des jeweiligen Falles als „erforderliche“ Kosten im Sinne der Klausel anzusehen sein können.

Danach kann der Versicherungsnehmer diese Aufwendungen dann ersetzt verlangen, wenn nur in der Markenwerkstatt eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung seines Fahrzeugs möglich ist, im Regelfall aber auch dann, wenn es sich um ein neueres Fahrzeug oder um ein solches handelt, das der Versicherungsnehmer bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen.

Dass eine dieser Voraussetzungen vorliegt, ist vom Versicherungsnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen.

Da das Berufungsgericht hierzu bislang keine Feststellungen getroffen hat, hat der BGH den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

BGH, Urt. v. 11.11.2015 – IV ZR 426/14

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 11.11.2015

Dreimal zu schnell ist nicht genug

Dreimal zu schnell ist nicht genug

Eine Fahrerlaubnis darf nicht schon deshalb entzogen werden, weil ein nach drei Geschwindigkeitsübertretungen geforderte medizinisch-psychologische Gutachten (MPG) nicht vorgelegt wurde, hat das Verwaltungsgericht Neustadt entschieden. Demnach muss die Fahrerlaubnisbehörde in solchen Fällen ausführen, warum sie ein MPG aus besonderen Einzelfallgründen für notwendig hält.

Dreimal zu schnell – darum geht es

Der Antragsteller ist seit 2008 im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B. Er wurde im Zeitraum Februar 2015 bis Mai 2016 wegen der folgenden Geschwindigkeitsüberschreitungen belangt: am 06.02.2015 Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 70 km/h um 34 km/h nach Toleranzabzug, am 14.12.2015 Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 23 km/h nach Toleranzabzug auf einer BAB, am 13.05.2016 Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 120 km/h um 56 km/h nach Toleranzabzug auf einer BAB.

Nach Bekanntwerden dieser Tatsachen verlangte die Stadt Ludwigshafen am Rhein (im Folgenden: Antragsgegnerin) am 07.10.2016 von dem Antragsteller die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle, um bestehende Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers auszuräumen. Hiermit war der Antragsteller zunächst einverstanden und unterzog sich einer entsprechenden Untersuchung. Das Gutachten legte er dann aber mit der Begründung nicht vor, dieses leide an elementaren Mängeln.

Daraufhin entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 03.01.2017 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und suchte um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führte er aus: Die Fahrerlaubnisentziehung sei rechtswidrig, weil schon die Anordnung der Antragsgegnerin zur Beibringung eines MPG unverhältnismäßig gewesen sei. Er habe drei Ordnungswidrigkeiten wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen. Davon hätten sich zwei Übertretungen im unteren Bereich bewegt. Es liege kein Fall eines wiederholten und erheblichen, gegen verkehrsrechtliche Vorschriften eingetretenen Verstoßes vor, der seine Kraftfahreignung in Frage stelle.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das Gericht hat dem Eilantrag stattgegeben. Zur Begründung haben die Richter ausgeführt: Die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin habe ihre Entscheidung vom 03.01.2017 zu Unrecht darauf gestützt, dass der Antragsteller das angeordnete MPG zum Nachweis seiner Fahreignung nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist beigebracht habe.

Denn die auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) gestützte Gutachtensanforderung sei nicht rechtmäßig gewesen. Nach dieser Vorschrift könne bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften die Beibringung eines MPG zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden. Der Antragsteller habe unstreitig wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen.

Die Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV stehe aber in einem Spannungsverhältnis zu § 4 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wonach die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor den Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern ausgingen, die in § 4 Abs. 5 StVG genannten Maßnahmen (Speicherung von Punkten, Ermahnung, Verwarnung, Entziehung der Fahrerlaubnis) zu ergreifen habe.

Das Fahreignungs-Bewertungssystem beinhalte die Bewertung von Verkehrszuwiderhandlungen mit einer nach Art und Schwere der Verstöße festgelegten Punktzahl und das Ergreifen abgestufter Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punkteschwellen. Es bezwecke eine Vereinheitlichung der Behandlung von Mehrfachtätern und solle dem Betroffenen Gelegenheit geben, aufgetretene Mängel durch Teilnahme an Fahreignungsseminaren möglichst frühzeitig zu beseitigen.

Das abgestufte System rechtfertige die Annahme, dass Personen, die acht oder mehr Punkte erreicht hätten, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen seien. Aus dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergebe sich damit, dass der Gesetzgeber bewusst die weitere Straßenverkehrsteilnahme von Kraftfahrern mit einem nicht unerheblichen „Sündenregister“, weil mehrfach gegen Verkehrsvorschriften verstoßen worden sei, in Kauf genommen habe.

Das Ergreifen anderer Maßnahmen gegen den Fahrerlaubnisinhaber wegen Eignungszweifeln, die sich aus den im Fahreignungs-Bewertungssystem erfassten Verkehrsverstößen ergäben, sei zwar nicht ausgeschlossen. Dadurch werde im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wirksam ausgeschlossen oder besondere Eignungszweifel durch weitergehende Maßnahmen, wie z. B. eine medizinisch-psychologische Untersuchung, sofort geklärt werden könnten.

Allerdings müsse dies auf eng begrenzte, besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt sein. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse präzise begründen, warum sie es aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall anderer „Punktesünder“ abheben müsse,  aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsordnungswidrigkeiten für unerlässlich halte, die Fahreignungsbedenken sofort durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu klären, ohne dem Betroffenen die Chance zu belassen, zuvor das unter der Geltung des Fahreignungs-Bewertungssystems stark reduzierte Hilfsangebot des § 4 StVG wahrzunehmen.

Besondere und einzelfallbezogene andere Erkenntnisse, die ein Abweichen von dem Fahreignungs-Bewertungssystem im vorliegenden Fall rechtfertigen würden, habe die Antragsgegnerin in ihrer Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers nicht aufgezeigt.

Da die Voraussetzungen für ein Abweichen von dem Bewertungssystem des § 4 StVG nicht vorlägen, greife hier das Regime des Fahreignungs-Bewertungssystems. Danach sei der Antragsteller, zu dessen Lasten im Fahreignungsregister vier Punkte eingetragen seien, schriftlich zu ermahnen und darauf hinzuweisen, dass ein Fahreignungsseminar freiwillig besucht werden könne, um das Verkehrsverhalten zu verbessern.

Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum  Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zulässig.

Verwaltungsgericht Neustadt, Beschl. v. 21.03.2017 – 3 L 293/17.NW

Quelle: Verwaltungsgericht Neustadt, Pressemitteilung v. 27.03.2017